BÖP-ExpertInnennetzwerk: „Einsamkeit – Gefahr für die Gesundheit. JETZT gemeinsam handeln“
Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) macht gemeinsam mit Hilfsorganisationen auf die Gefahren von Einsamkeit und Isolation aufmerksam
Im Juni 2024 lud der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) die Institutionen Caritas, Hilfswerk, pro mente Austria, Rotes Kreuz, die Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen, Armutskonferenz, Diakonie und die Österreichische Krebshilfe unter dem Motto „JETZT gemeinsam handeln“ zum Round Table. Fokus der hochkarätig besetzten Diskussionsrunde war das Thema Einsamkeit und die damit verbundenen Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit von Betroffenen.
Laut einer Studie der Caritas fühlen sich fast 600.000 Menschen in Österreich mehr als die Hälfte ihrer Zeit einsam. Betroffen sind besonders ältere Menschen, junge Menschen und armutsgefährdete Menschen, so die Studie. Und: Die Zahl jener, die sich einsam fühlen, steigt weiter an.
Dass soziale Isolation gesundheitsgefährdend ist, hat kürzlich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont. Demnach sind Menschen ohne starke soziale Kontakte einem höheren Risiko von Schlaganfällen, Angststörungen, Demenz, Depressionen und Suizid ausgesetzt. Die Auswirkungen auf die Sterblichkeit sei laut WHO vergleichbar mit denen anderer bekannter Risikofaktoren wie Rauchen, Fettleibigkeit und körperliche Inaktivität.
„Wie dringlich das Thema ist zeigt, dass die Weltgesundheitsorganisation das Thema Einsamkeit auf ihre Agenda genommen hat. So hat gerade die „Commission on Social Connection“ ihre Arbeit aufgenommen und erarbeitet Strategien gegen Einsamkeit. Ich freue mich daher ganz besonders, dass alle relevanten Organisationen und Institutionen mit dabei sind, um gemeinsam den Folgen von Einsamkeit entgegenzuwirken und aufzuzeigen, dass hier gezielte Maßnahmen unbedingt erforderlich sind. Einsamkeit ist eine ernstzunehmende Gefahr für die psychische Gesundheit und eine Herausforderung für unser soziales Miteinander. Vergessen wir nie, der Mensch ist ein soziales Wesen. Die digitale Welt kann und soll keine persönlichen, sozialen Kontakte ersetzen. Wir als Berufsverband Österreichischer PsychologInnen lenken den Blick auf die psychischen Folgen von Einsamkeit. Deshalb ist – neben den vielen bereits bestehenden Unterstützungsangeboten – der Ausbau der kostenfreien psychologischen Versorgung unbedingt erforderlich“, betonte BÖP-Präsidentin ao. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger.
Im Rahmen der Diskussionsrunde wurden Einblicke in die Perspektiven der verschiedenen Institutionen und ihre Sicht auf die psychosozialen und gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit gegeben.
Dass Einsamkeit jeden treffen könne, versicherte auch BÖP-Vizepräsidentin Mag.a Christina M. Beran. „Einsamkeit ist das Ergebnis wahrgenommener quantitativer und qualitativer Defizite in den eigenen sozialen Beziehungen. Wer sich einsam fühlt, ist einsam. Während Einsamkeit also ein subjektives Gefühl ist, meint soziale Isolation in der Regel die Abwesenheit von Kontakten und ist somit ein objektives Maß für die soziale Eingebundenheit. Diese Unterscheidung stellt eine Herausforderung dar, bei der die Psychologie gefragt ist und hilfreich sein kann.“
BÖP-Vizepräsidentin Mag.a Hilde Wolf ergänzte, dass Einsamkeit hohen seelischen Stress auslöse, der häufig in einen Teufelskreis führe. „Betroffene schämen sich für ihre fehlenden sozialen Kontakte und ziehen sich noch mehr von anderen Menschen zurück. Das führt zu einem hohen Leidensdruck und wirkt sich negativ auf die Lebensqualität aus. Besonders betroffen sind hier vulnerable Gruppen. Wir wissen aus unserer täglichen Arbeit, dass es für alleinerziehende Frauen, Frauen mit Migrationshintergrund und armutsgefährdete Frauen hier sehr schwer ist, soziale Kontakte zu suchen und Angebote auch anzunehmen.“
Caritas Generalsekretärin Mag.a Anna Parr sah hier Politik und Gesellschaft gleichermaßen gefordert, schnell und rasch zu handeln. „Einsamkeit kann uns alle treffen, unabhängig von unserem Alter oder Wohnort. Die Ursachen sind komplex und erfordern eine umfassende Strategie, die Einsamkeit als politische und gesellschaftliche Herausforderung anerkennt. Wir brauchen einen Pakt gegen Einsamkeit, der Enttabuisierung, Sensibilisierung und den Ausbau wissenschaftlich fundierter Lösungen fördert. Zudem muss der Zugang zu Hilfsangeboten und Initiativen niederschwellig gestaltet werden.“
„Einsamkeit spielt gerade bei KrebspatientInnen eine große Rolle“, erklärte Krebshilfe-Präsident Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda. „Wir erleben immer wieder, dass sich KrebspatientInnen mit ihrer Diagnose aus ihrem sozialen Leben zurückziehen. Diese Einsamkeit kann zu Depressionen und Angstzuständen führen, die die Lebensqualität enorm beeinträchtigen. Umso wichtiger ist die psychoonkologische Begleitung für KrebspatientInnen. Wir bei der Krebshilfe bieten diese Unterstützung seit vielen Jahren kostenlos in unseren Beratungsstellen in ganz Österreich an. Die beschlossene Gesundheitsreform gibt uns Hoffnung, dass nun auch Psychoonkologie auf e-Card in Anspruch genommen werden kann.“
Anita Kienesberger von der Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen bestätigt: „KrebspatientInnen leiden oft unter Einsamkeit, besonders wenn Familie oder Freunde fehlen. Nach der Therapie wird dies besonders deutlich. Daher fordern wir psychologische Unterstützung, soziale Vernetzung und professionelle Begleitpersonen für die Nachsorge.“
„Einsamkeit wird schlimmer mit Armut, bedrohlicher mit sozialen Krisen und belastender mit schlechter sozialer Infrastruktur“, verwies Mag. Martin Schenk von der Armutskonferenz, selbst Psychologe, auf die Daten der Armutsforschung. „Einsamkeit bedeutet, sich von der Welt getrennt zu fühlen. Betroffene äußern tiefes Verlassen- und Vergessenwerden. Dieses Gefühl führt zu einem Vertrauensverlust in die Gesellschaft und Demokratie. Je einsamer die Menschen, desto geringer ihre Wahlbeteiligung und ihr Vertrauen in demokratische Institutionen.“
pro mente Austria-Präsident PDoz. Dr. Günter Klug betone, dass Einsamkeit besonders junge und ältere Menschen treffe und langzeitigen Stress auslöse. "Es muss in präventive Maßnahmen investiert werden. Einrichtungen, die mit Jugendlichen arbeiten, sind gefordert, und für ältere Menschen sind attraktive Treffpunkte wichtig. Bereits vereinsamte Menschen benötigen mobile psychosoziale Betreuung. Diese Angebote sind noch viel zu selten vorhanden."
„Die eingeschränkte Mobilität älterer Menschen verhindert oft Besuche bei Verwandten und die Teilnahme am sozialen Leben“, bestätigte Hilfswerk Österreich Leiterin für Pflege und Betreuung, Mag.a Sabine Maunz. „Häufig sind die Fachkräfte in der Hauskrankenpflege und Heimhilfe die einzigen Ansprechpersonen am Tag. Das ist wichtig, denn Einsamkeit hat gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit und fördert psychische und physische Erkrankungen wie Depressionen, Schlaganfälle und Herzinfarkte. Es ist daher essenziell, Angebote zu unterstützen, die Einsamkeit im Alter reduzieren. Dies kann durch verschiedene Gesprächs- und Kontaktmöglichkeiten, Besuchs- und Begleitdienste, die Verdichtung der mobilen Dienste wie insbesondere der Heimhilfe sowie Hol- und Bringdienste geschehen. Auch die mehrstündige Tagesbetreuung zu Hause, Tageszentren und spezielle Angebote für Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen und deren Angehörige sind hilfreich und wirken sich positiv auf die Lebensqualität aus.“
Diakonie Österreich-Direktorin Dr.in Katharina Moser zeigte sich überzeugt, dass Einsamkeit kein individuelles Schicksal sei, sondern die gesamte Gesellschaft betreffe und Kosten verursache. „Ein Maßnahmenpaket gegen Einsamkeit ist gut für sozialen Zusammenhalt, Gesundheit und Demokratie. Die Diakonie arbeitet in Gemeinwesen-Projekten mit Nachbarschafts-KoordinatorInnen, deren Aufgabe es ist, das Gemeinwesen im Blick zu haben und vorhandene Ressourcen in der Nachbarschaft zu aktivieren. Was wir brauchen, sind mehr und nachhaltige Investitionen in Grätzlarbeit, Nachbarschaftshilfe und Gemeinwesenprojekte, aber auch mehr Mittel für Community-Arbeit in der Pflege, Familienhilfe oder in der Begleitung von Menschen mit Behinderungen.“
BÖP-Studierende Leitungsteammitglied und Studentin der Psychologie, Veronika Walter, warnte vor dem Gefühl der Ohnmacht, das junge Menschen erleben, wenn sie sich allein bewältigen müssen. „Die hohen Zahlen psychischer Erkrankungen in den jüngeren Generationen spiegeln dies wider, erlangen jedoch leider oftmals zu wenig Aufmerksamkeit in der Politik und Gesellschaft. Es fehlt an Akzeptanz, Finanzierung und Unterstützung. Deshalb plädieren wir für eine stärkere Berücksichtigung der jungen Bevölkerung in unserer Gesellschaft. Es sollten mehr leistbare psychosoziale Angebote geschaffen werden sowie Gemeinschafts- und Unterstützungsnetzwerke, um jungen Menschen den Zugang zu sozialen Kontakten zu erleichtern.“
„Erste Forschungsergebnisse deuten auf einen möglichen Zusammenhang von Einsamkeit mit Politikvertrauen und demokratischer Partizipation hin“, versicherte ao. Univ.-Prof.in Dr. Karin Gutiérrez-Lobos, Initiatorin der Plattform gegen Einsamkeit. Es brauche umfassende Maßnahmen von sozialen Interventionen bis hin zur Förderung von Forschung. Die Plattform bündelt bestehende Kooperationen und Angebote in Österreich und arbeitet im Projekt KORALE an staatlichen Maßnahmen zur Bewältigung und Prävention von Einsamkeit in sechs europäischen Regionen.
Die Leiterin des psychosozialen Dienstes des Roten Kreuzes, ao. Univ. Prof.in Dr.in Barbara Juen wies auf das wesentliche Ziel des Österreichischen Roten Kreuzes hin, die psychosozialen Bedürfnisse gefährdeter Gruppen zu verstehen und darauf zu reagieren. „Besonders junge Menschen sind betroffen. Angebote wie die Ö3 Kummernummer, Peer-to-Peer-Beratung via WhatsApp ('time4friends'), individuelle Spontanhilfe, Sozialbegleitung und Team Österreich Tafeln sind in Österreich etabliert, um in psychosozialen Notlagen zu unterstützen.“
Die ExpertInnen waren sich einig: Mit gebündelten Kräften sei es zu schaffen, flächendeckende, niederschwellige psychosoziale Unterstützung zu sichern. Es sei unerlässlich, dass Politik, Gesundheitswesen und Gemeinschaften zusammenarbeiten, um Einsamkeit wirksam zu bekämpfen.
Für das ExpertInnennetzwerk ist es von großer Dringlichkeit, das Round Table-Gespräch als Ausgangspunkt für weitere Aktionen und Kooperationen zu sehen und einen Forderungskatalog zu entwickeln, um das Problem der Einsamkeit effektiv und gemeinsam anzugehen.