Österreichische Akademie für Psychologen | ÖAP

„In der Luftfahrtpsychologie darf man nicht zimperlich sein“ - Interview mit der neuen EAAP-Präsidentin

22.11.2018 | Neue Interview-Reihe „Psychologie persönlich“
​Fotocredit: Privat

Mag.a Dr.in Michaela Schwarz wurde im September 2018 in Dubrovnik mit großer Mehrheit zur neuen Präsidentin der European Association for Aviation Psychology (EAAP) gewählt. Im Interview im Rahmen der neuen BÖP-Reihe „Psychologie persönlich“ erklärt die zertifizierte Arbeits-/Organisations- und Luftfahrtpsychologin, was sie zur Luftfahrtpsychologie zog, was Luftfahrtpsychologie ausmacht und was ihre ganz persönlichen Ziele für die Zukunft der Luftfahrtpsychologie sind.

Frage: Dr.in Schwarz, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl. Warum Ihr Engagement in der der European Association for Aviation Psychology (EAAP)?

Dr.in Schwarz: Ich bin bereits seit 2006 Mitglied der EAAP. Als ich 2010 nach einer zweijährigen Anstellung im Sicherheitsmanagement bei einer australischen Fluglinie zurück nach Österreich kam, bin ich dem BÖP beigetreten, um die Luftfahrtpsychologie zu stärken und ihre Vorteile zu kommunizieren, damit man überhaupt weiß, was Luftfahrtpsychologie ist und was sie als Anwendungsfach leisten kann. 2015 wurde ich zur Generalsekretärin und vergangenen September zur EAAP-Präsidentin gewählt. Das Vertrauen, dass die EAAP Mitglieder in mich setzen, freut mich wirklich sehr.

Frage: Wie ist die EAAP aufgestellt? Wie viele Mitglieder hat der Verein? In welchen Ländern ist sie aktiv?

Dr.in Schwarz: EAAP wurde 1956 in DenHaag gegründet, mit dem Ziel die Luftfahrtpsychologie in Europa zu stärken. EAAP hat derzeit 570 Mitglieder weltweit, 45 davon in Österreich. Innerhalb der EAAP gibt es zwei Schienen: Zum einen Mitglieder, die ein Psychologiestudium mindestens auf Masterlevel abgeschlossen haben und in der zivilen oder militärischen Luftfahrt tätig sind. Diese Mitglieder können sich im Laufe ihrer Karriere als LuftfahrtpsychologIn akkreditieren lassen. Zum anderen die Schiene jener Mitglieder, die zwar kein Psychologiestudium abgeschlossen haben, aber operativ in der Luftfahrt tätig sind und sich für das Thema Human Factors engagieren. Das können Personen sein, die einen privaten Pilotenschein oder eine kommerzielle Fluglizenz haben, FlugverkehrsleiterInnen, Wartungs-TechnikerInnen, und andere LizenzinhaberInnen. Für all diese Berufsgruppen gibt es innerhalb der EAAP die Möglichkeit sich als Human Factors Specialist akkreditieren zu lassen.

Frage: Was bringt diese Zweiteilung?

Dr.in Schwarz: Während PsychologInnen theoretisches Fachwissen bereits mitbringen, jedoch die Anwendung in der Luftfahrt oftmals fehlt, bringen umgekehrt Personen im operativen Betrieb viel praktisches Wissen aus der Luftfahrt mit, ihnen fehlt jedoch das psychologische Fachwissen. Die psychologische Zusatzausbildung von operativen Fachpersonal kommt natürlich keinem Psychologiestudium gleich, aber diese Menschen sind eine wertvolle Ressource für die Luftfahrt. EAAP bietet beiden Gruppen eine Zusatzausbildung für eine erfolgreiche Karriere in der Luftfahrt.

Frage: Wir alle fliegen mehr als jemals zuvor, die Luftfahrtpsychologie ist aber weiterhin wenig bekannt. Warum?

Dr.in Schwarz: Die Mühlen der europäischen Luftfahrtbehörde mahlen traditionell sehr langsam und man agiert oft erst reaktiv, wenn etwas passiert ist. 2015 ist leider etwas passiert (Anmerkung: die Germanwings-Katastrophe). Auf einmal war die Aufmerksamkeit da, die Luftfahrtpsychologie war in aller Munde. Die Öffentlichkeit fragt sich, wie es passieren konnte, dass ein Co-Pilot absichtlich ein Flugzeug in eine Felswand fliegt und alle Passagiere mitnimmt? Wie kann das vorher nicht aufgefallen sein? EAAP hat damals sehr viele Interviewanfragen bekommen, um die Fragen aufzuklären. Leider ging es in den Anfragen fast immer um den klinisch-psychologischen Bereich. Dabei besteht die Luftfahrtpsychologie längst nicht nur aus klinisch-psychologischen Fragestellungen. Luftfahrtpsychologie ist eine Bezeichnung für Angewandte Psychologie in allen Bereichen der zivilen und militärischen Luftfahrt und umfasst Flugbetrieb, Flugsicherung, sowie Konstruktion und Wartung von Flugzeugen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Frage: Was macht die Luftfahrt im Gegensatz zu anderen Branchen eigentlich so speziell, dass sich PsychologInnen auf sie spezialisieren?

Dr.in Schwarz: Da ist zum einen das Arbeitsumfeld, der sicherheitskritische Bereich, in dem wir arbeiten. Ähnlich dem Transportwesen, Hospitälern, der Atomindustrie, der Öl- und die Energieindustrie zählt die Luftfahrt als Hoch-Risiko-Industrie und kritische Infrastruktur. Die Luftfahrt ist ein sicherheitskritischer Bereich, weil wir sehr viele Menschen in hohen Höhen transportieren und sehr viele Menschen damit beschäftigt sind, ein Flugzeug zu warten und in Takt zu halten. Das Flugsicherungssystem ist ein relativ komplexes System bestehend aus hoch entwickelter Technologie, hoch automatisierten Abläufen und hoch spezialisierten Arbeitskräften. Hier können sehr viele Menschen zu Schaden kommen, wenn etwas passiert. Sicherheit in der Luft ist daher unser höchstes Gut.

Zum anderen hat die Luftfahrt eine eigene Sprache, ein eigenes Alphabet, hunderte Abkürzungen, die für die effiziente und sichere Kommunikation in der Luftfahrt unabdingbar sind. Darüber hinaus sind Menschen, die in der Luftfahrt arbeiten, ganz eigenen psycho-physiologischen Bedingungen ausgesetzt. All das und vieles mehr muss der/die PsychologIn wissen, um mit operativem Luftfahrtpersonal arbeiten zu können.

Frage: Wie sind Sie selbst zur Luftfahrtpsychologie gekommen?

Dr.in Schwarz: Ich habe an der Universität Graz Psychologie studiert und im zweiten Studienabschnitt musste man sich entscheiden: Geht man den klinischen oder den nicht-klinischen Weg? Ich habe mir immer gesagt: „Ich möchte mit psychisch gesunden Menschen am Arbeitsplatz arbeiten und ihre Gesundheit erhalten (im Fokus der Arbeits-/Organisationspsychologie), und nicht mit Kranken (im Fokus der klinischen Psychologie). Das war einfach eine ganz persönliche Entscheidung. Zur Luftfahrtpsychologie bin ich dann über ein sechsmonatiges Praktikum gekommen, das ich im Rahmen meines Studiums bei der europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontrol) in Brüssel gemacht habe.

Frage: Wie ging es dann weiter?

Dr.in Schwarz: Bereits während meines Praktikums in der Human Factors Abteilung, bekam ich das Angebot, meine Diplomarbeit in einer Zweigstelle von Eurocontrol in Budapest zu absolvieren. Das habe ich angenommen und so bereits meine Diplomarbeit in der Luftfahrtpsychologie verfasst. Nach Abschluss des Diplomstudiums Psychologie (2005) wurde mir eine Stelle in der Personalauswahl von FlugverkehrsleiterInnen bei Eurocontrol in Brüssel angeboten. Nach drei weiteren Jahren in Brüssel wurde ich über einen Kollegen in die Sicherheitsabteilung einer großen australischen Fluglinie vermittelt und habe mich dort vor allem mit der Messung und Verbesserung von Sicherheitskultur beschäftigt. Warum machen Menschen Fehler? Warum brechen Menschen Regeln? Wie sollte ein Flugzeug-Cockpit ergonomisch designt sein, damit es für PilotInnen gut zu bedienen ist? All das waren spannende Fragen, denen ich mich in meiner Zeit in Australien widmen durfte. Die Sehnsucht nach der Heimat hat mich allerdings2010 dazu bewogen, zurück nach Österreich zu kehren, wo ich seither bei Austro Control in Wien angestellt bin.

Frage: Was ist hier Ihre Aufgabe?

Dr.in Schwarz: Bei Austro Control bin ich zuständig für die Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle sowie die Integration von Human Factors in das sogenannte integrierte Management-System (IMS). Das IMS der Austro Control besteht aus insgesamt fünf Teilmanagement-Systemen: Safety-, Security-, Quality-, Arbeitssicherheit- und Gesundheit-, sowie Umweltmanagement. Der Faktor Mensch spielt in allen Bereichen eine große Rolle. Zu meinen Hauptaufgaben zählen unter anderem die regelmäßige Messung und Verbesserung von Sicherheitskultur, die Analyse und Bewertung von menschlicher Zuverlässigkeit, sowie die Entwicklung von zielgruppenorientierten Trainingsprogrammen zu speziellen Human Factors Themen (z.B.: Stress, Fatigue, Team Ressource Management usw.).

Frage: Was macht Ihrer Meinung nach eine/n guten LuftfahrtpsychologIn aus?

Dr.in Schwarz: Es braucht viel Begeisterung und viel Leidenschaft. Man braucht ein technisches Verständnis und darf nicht zimperlich sein, denn die Luftfahrt ist noch immer eine Männerwelt. Gott sei Dank ändert sich das schon langsam, auch natürlich durch aktive Anwerbung von weiblichem Luftfahrtpersonal (z.B. Pilotinnen, Flugverkehrsleiterinnen) in den Betrieben.

Frage: Was wollen Sie als Präsidentin der EAAP in den nächsten Jahren erreichen?

Dr.in Schwarz: Einerseits geht es mir darum, mehr Bewusstsein für die Luftfahrtpsychologie in Österreich und weltweit zu schaffen. Wir haben aktuell zwar mehr als 40 Mitglieder in Österreich, aber gemessen an der Anzahl des operativen Luftfahrtpersonals, könnten es mehr sein. LuftfahrtpsychologInnen müssen noch mehr in die Betriebe gehen undregelmäßige Kontakte zu operativem Luftfahrtpersonal pflegen und nutzen. Es braucht viel Geduld und Zeit um das Vertrauen des Luftfahrtpersonals und der Luftfahrtbetriebe zu gewinnen. Aber ich glaube, es ist möglich.

Zum zweiten ist es mein Ziel, die Luftfahrtpsychologie in die Curricula der Universitäten auf europäischer und internationaler Ebene hineinzubekommen. Auch ich bin damals als Studentin durch ein Seminar zur Luftfahrtpsychologie gekommen. Hier müssen wir die Luftfahrtpsychologie stärker verankern, um junge KollegInnen für unser Fach zu begeistern und aktive Nachwuchsförderung zu betreiben. Denn nur so ist sichergestellt, dass wir auf die immer stärker werdende Nachfrage an LuftfahrtpsychologInnen in den Betrieben reagieren können und die Sicherheit in der Luft nachhaltig beeinflussen können.

Links:

European Association for Aviation Psychology (EAAP)

Austrian Aviation Psychology Association (AAPA)

Interview: Dana M. Müllejans, MA

Die BÖP-Interview-Reihe „Psychologie persönlich“ stellt in unregelmäßigen Abständen Persönlichkeiten der Psychologie vor.

Hier können Sie das Interview mit Dr.in Monika Gattinger-Holböck nachlesen, die rund um den Globus als Psychologin in Krisengebieten tätig ist.